1. Dorians Leben,
Dorians Streben
Es
lebte einst,
der Fliegrich Dorian,
mit
Frau und Maden auf dem Lande.
Der
Misthaufen
des Bauern Florian,
war
ihm zuteil nach seinem Stande.
Die
andern Fliegen
schauten
neidisch drein,
als
sie den Misthaufen erblickten.
Der
Mist im Hof,
er roch für Fliegen fein,
gleich
in dipterischen[1] Gedichten.
Ein
Luxusleben
führte Dorian,
verglichen
mit urbanen Fliegen.
Und
doch war Dorian
wohl schlimmer dran,
er
wollte mehr und konnt’s nicht kriegen.
Der
Fliegrich Dorian
liebte das Leben,
richtete alle Kraft
und all sein Streben
auf
die Unsterblichkeit,
ihm sei vergeben,
ein Stück der Ewigkeit,
wer wollt`s nicht mögen?
2. Das
goldene Ährenkorn
Es funkelte
im Mist ein
Ährenkorn,
riss Dorian aus seinem Traume.
„Oh, Ährenkorn,
oh geh mir nicht
verlorn!“
rief Dorian herab vom Baume.
Im Eilflug stürzte
sich der Fliegerich
auf die begehrte Funkelquelle.
Er griff danach,
doch war das
Stemmgewicht
zu schwer für Fliegenarm und Elle.
Von Gier gepackt,
verscharrte Dorian
den goldnen Schatz unter dem Kuhmist.
Danach markierte
er mit Adlerfarn
das goldne Korn im Dung voll Hablist.
Der Fliegrich Dorian
liebte das Leben,
ein goldnes Ährenkorn
ließ ihn erbeben.
Aus
Furcht vor Korndiebstahl,
hat er’s vergraben,
um sich am Glückesfall
allein zu laben.
3. Des Ährenkorns
Offenbarung
Mit
strengem Blick
bewachte Dorian,
zu
allen Tag- und Nachtesstunden.
Den
Misthaufen
des Bauern Florian,
zum
Schutz des Korns vor Vagabunden.
Am
nächsten Tag,
geschützt vom Morgengraun,
begab
sich Dorian zum Schatze.
Er
scharrte Mist,
um nach dem Korn zu schaun,
als
ihm erschien Stomoxys[2] Fratze.
„Dorian,
heute bist du glücklich dran“,
tönte
der Geist mit dumpfer Stimme.
„Tritt
heran,
sage mir den Wunsche an,
der
dich betrübt, dir schwärzt die Sinne.“
Der
Fliegrich Dorian,
konnt’ es nicht fassen.
Ein banger Fiebertraum,
ließ ihn erblassen.
Der
Geist dort sprach zu ihm
und schien zu wissen
von Fliegrich Dorians
innerstem Missen.
4. Dorians Antwort
Dorian
stockte,
hielt den Atem an,
duckte
sich weg vor dem Stomoxys,
murmelte
leise
seinen Wunsch ihm dann,
merklich
bedrückt nun von Besorgnis:
„Stomoxys,
mächtiger Dipterengeist[3],
mein
Wunsch ist groß, klein sind die Taten.
Soviel
du auch,
von meinem Innern weißt,
wirst
du mein Streben kaum erraten.
Was
ich begehr’,
ist die Unsterblichkeit
für
mich, mein Weib und meine Maden.
Von
heute an,
bis in die Ewigkeit,
möcht
ich an Lebenslust mich laben.“
Der
Fliegrich Dorian
liebte das Leben,
richtete alle Kraft
und all sein Streben
auf
die Unsterblichkeit,
ihm sei vergeben,
ein Stück der Ewigkeit,
wer wollt`s nicht mögen?
5. Stomoxys belehrt
Dorian
„Das
Ewige,
mein lieber Dorian,
ist
nur Idee“, sagte Stomoxys.
„Mancher
sucht
danach ein Leben lang,
doch
wer viel sucht, der findet gar nichts.
Wer
lange lebt,
dem wird das Leben fad,
denn
nichts schützt ihn vor Schmerz und Sorgen.
Was
du begehrst,
scheint mir von andrer Art,
du
willst die Herrschaft übers Sterben.
Drum
lebe nun,
solang du leben magst
mit
Frau, Kokons und Fliegenmaden.
Wenn
du dann
an der Ewigkeit verzagst,
darfst
du samt Brut dem Sein entsagen.“
Der
Fliegrich Dorian
hüpfte vor Freude.
Sein Wunsch erfüllte sich.
Das Weltgebäude
erschien
im grenzenlos.
Er wollt’s erkunden.
Stomoxys schenkte ihm
dazu die Stunden.
6. Glückliche Stunden?
Von
Dorian
fielen die Sorgen ab
und
seine Fliegenbrut wuchs täglich.
Weil
kein Kind mehr
durch Wechselfälle starb,
schrumpfte
der Platz jedoch unsäglich.
Der
Misthaufen
des Bauern Florian
löste
sich auf im Fliegenschwarme.
Der
Dung verschwand
und unsern Dorian
würgten
des Hungers kalte Arme.
Die
schwere Last
seiner Nachkommenschaft
zerquetschte
Dorian die Glieder.
Stomoxys
Geist
hatte ihn abgestraft,
nun
ward sein Leben ihm zuwider.
Der
Fliegrich Dorian
hasste das Leben.
Er misste alle Kraft
und alles Streben.
Die
Lust auf Ewigkeit
war im vergangen.
Sein unbescheidner Wunsch
war ihm vergangen.
7. Das Ende
Der
Fliegerich
bezahlte bitterlich
für
seinen Wunsch nach ewgem Leben.
Inzwischen
war
die Welt gar schauerlich
bedeckt
von Dorians Bluterben.
Wer
unten war,
den drückte das Gewicht
der
jüngeren Generationen.
Vom
Schmerz gebeugt
wünschte sich Dorian
im
Land der Toten nun zu wohnen.
Mit
Donnerhall
erfüllte sich sein Wunsch
und
alle Stubenfliegen starben.
Die
Welt war frei
und wir erinnern uns:
die
Gier verwischt des Lebens Farben.
Der
Fliegrich Dorian
liebte das Leben,
richtete alle Kraft
und all sein Streben
auf
die Unsterblichkeit,
ihm sei vergeben,
ein Stück der Ewigkeit,
wer
wollt`s nicht mögen?
Entomologisches
Nachwort
„Würden sämtliche
Kinder
und Kindeskinder
eines Hausfliegenpaares
überleben, dann
entstünde nach einem Jahr eine Fliegenkugel
von 149,6 Millionen
Kilometer Durchmesser –
das entspricht der
Entfernung zwischen Sonne und Erde.“
Christopher O’Toole,
britischer Entomologe
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