Sonntag, 26. August 2012

Bernd, der Verlängerte

Bernd Friedemann feiert heut sein Jubiläum,
vor zweihundert Jahren gebar ihn das Glück.
Er lebte stets fleißig, er drehte die Welt um,
er nahm sich vom Kuchen ein üppiges Stück.

Mit achtzig erlebte er erste Gebrechen,
die Nieren versagten, verdarben sein Blut.
Da wollte sich grausam sein Lebensstil rächen,
doch Bernd war gewappnet und blieb auf der Hut.

Bald fand sich sein Name auf einer der Listen
für Spenderorgane, schon lachte der Tod.
Denn Bernd stand ganz unten, war einer der Letzten,
er bangte ums Dasein, in kläglichster Not.

Sein Geld schien ihm nutzlos, sein Streben vergeblich,
da bot ihm ein Händler ein Blutgeschäft an.
Bernd zahlte die Summe: das nervte! Doch ehrlich –
wer zahlen kann, zahlt, pirscht der Tod sich heran.

Nach nur zwanzig Jahren, da zwickte es wieder,
die Leber versagte, vergiftet vom Wein.
Doch Bernd war erfahren, bestellte sich Dieter,
der brachte Organe und setzte sie ein.

So kaufte Bernd Lebern und Nieren und Herzen,
zum Glück funktionierte sein kluges Gehirn.
In Krankenhausbetten ertrug er die Schmerzen
und bietet bis heute dem Tode die Stirn.

Mit russischen Lungen, algerischen Beinen,
mit Fingern aus Bangkok und Haut aus Triest
wird Bernd sich am Ende mit denen vereinen,
die gern für ihn starben – drum feiert ihn jetzt!

Die Welt ist gerecht, denn Bernds Geld fließt im Kreise,
je älter er wird, desto mehr zirkuliert‘s.
Verarmt er, so schwindet sein Leben ganz leise,
dann wird er dem Tode als Mahlzeit serviert. 

Organspende; Organhandel; Mafia; Spenderorgane

Montag, 13. August 2012

Zeit ist Geld

Zeit ist Geld!

Der Mann im dunklen Mantel
tritt am Morgen ins Büro. Seine
Hutkrempe sitzt tief. So tief,
dass Miss Sidewalk nicht
einmal seine Augen erkennen
kann. „Guten Morgen“, brummt
er, „meine Zeitung?“
„Die liegt schon im Büro.“
Mit gesenktem Blick verschließt
er die Tür. Er stellt seine
Aktentasche ab und entnimmt
daraus ein Laptop. Anschließend
wirft er Mantel und Hut über den
Kleiderständer. Er hat es eilig.

Zeit ist Geld!

„Merkel lehnt weitere Finanzhilfen
für Griechenland ab...“ Der
Bildschirm flackert - Mist!
Was bildet die Alte sich ein? Erst
Gestern hat er noch Gelder
in Staatsanleihen investiert. Wo
bleibt da der Gläubigerschutz?
Soll er seine Verluste etwa selbst
tragen? Das darf nicht wahr sein!
Hält sich denn niemand mehr
an Abmachungen? Gottverdammt-
Die wird noch staunen!
Er drückt den Knopf auf dem
Schreibtisch. „Kaffee!“ brüllt er.

Zeit ist Geld!

Wenig später umschmeichelt ein
angenehmer Duft seine Nase.
Miss Sidewalk stellt die Tasse
vor ihm ab. Aromatische
Dampfschwaden erfüllen den
Raum. „Eine Leitung zu M,
bitte! Und bringen Sie mir meine
Lesebrille. Es eilt.“ „Jawohl Sir“,
sagt Miss Sidewalk. Sie huscht
auf Zehenspitzen davon.
Der Macher blickt ihr hinterher.
Ihr Arsch wackelt - verführerisch.  
Er beobachtet, wie sich die Türklinke
geräuschlos schließt. Los geht’s! 

Zeit ist Geld!

Die Kontrollleuchte am Telefon
blinkt grün. Endlich. Er nimmt den
Hörer ab, wartet eine Sekunde
und spricht: „Hast du’s gelesen?“ -
„Natürlich.“ - Inzwischen kehrt
Miss Sidewalk mit der Lesebrille
zurück. Der Macher nimmt die Brille.
Dann beordert er die Miss mit einer
Handbewegung hinaus. Stille -
 „Was war?“, krächzt es aus der
Leitung. „Nichts von Bedeutung,
nur meine Sekretärin. Also was?“
„Wir haben uns besprochen.
Merkel wird sich wundern.“

Zeit ist Geld!

„Wir stufen sie also herab?“
„Erstmal wollen wir nur drohen.
Sie sind uns nützlicher, solange
sie zahlen. Du willst ja schließlich
nicht auf deinem Geld
sitzenbleiben.“ Der Macher tippt
mit seinen Fingern auf den
Schreibtisch. „Gut. Und wie soll
ich euch entgegenkommen?“
„Wir ändern nichts. Uns reicht
eine Beteiligung. Und wir 
brauchen dein Wissen.“
„Gut, ihr könnt euch wie immer
auf mich verlassen. Schlagt zu!“

Zeit ist Geld!

Der Macher grinst. In wenigen
Minuten werden die Märkte
rotieren. Die Märkte?
Wenn die wüssten. Er kappt eine
Zigarre, entzündet ein Streichholz.
„Miss Sidewalk!“, ruft er durch
die Sprechanlage. Geschäftig eilt
sie durch die Tür. Mit schlanker
Taille und rasierten Beinen
beugt sie sich über den Schreibtisch,
nimmt die leere Tasse.
Der Macher blickt ihr tief in den
Ausschnitt. „Frauen sollten tun, wozu
sie bestimmt sind“, denkt er, denn

Zeit ist Geld!